„Yo soy un criminal“ bekennt Gian Marco in seinem Lied „Ando por la vida“ (lyrics gibt es hier) – und man mag es ihm nicht wirklich glauben, so charmant und lässig wie er daher kommt. Einer, der mit Worten mordet, sei er: „…traficando versos con palabras asesinas“, aber das nur, um den eigenen Schmerz zu betäuben und seine Wunden zu lecken („para aniquilar mi pena… lamiendo mir heridas“) – das kann man ja verstehen, oder? Er redet von sich, einem Mann in den besten Jahren, in der Mitte des Lebens – Jahrgang 1970 ist Gian Marco Zignago, ein peruanischer Singer/Songwriter, der in der lateinamerikanischen Welt schon viele Auszeichnungen erhalten hat. Man nimmt ihm das ab, was er da von sich sagt, er ist kein Youngster mehr. Zunächst aber sagt er , was er alles NICHT ist: nicht verrückt, nicht erschrocken, nicht hübsch, nicht hässlich, weder gut- noch schlecht-gelaunt. Er ist nicht Richter, nicht Zuschauer, nicht Gauner, nicht Bandit, kein schlechter Freund und auch kein Verführer. Er sei nicht weise, nicht anspruchsvoll, nicht dumm , nicht verärgert, aber auch nicht fröhlich, nicht besonders zivilisiert, aber auch kein Tier.
Was bist du denn, fragt man sich? Bist du das Mittelmaß, unsichtbar, alles kann man ja nicht sein? Nein, auch das Mittelmaß ist nicht sein Ding, nicht das Reglement der Religiösen, er sei nicht besonders fromm, aber auch kein Verlorener. Schwer zu fassen, der Mann… Das genau will er sein.
Er hat keine Lust mehr – „ya no tengo ganas“, das wird in jeder Strophe einmal konkretisiert, und das sagt ja durchaus etwas darüber aus, wer er denn ist. Keine Lust mehr, ständig die Richtung zu wechseln, um den Ansprüchen anderer zu genügen. Keine Lust mehr, die Rechnung für andere zu bezahlen. Keine Lust mehr, aufzufallen. Keine Lust mehr, sich ständig in Frage stellen zu lassen. Die jugendliche Ungeduld („… con los años la impaciencia se acabó“) ist einer fröhlichen Zerstreutheit gewichen, einem „durch das Leben wandern“ („ando por la vida„) wohl wissend, dass das, was anderen seltsam erscheint, für ihn ganz normal ist („lo que para tí es muy raro para mí es normal“). Selbst die Geschichten, die er erzählt, sind recycled („reciclando historias“) – es ist alles schon ‚mal dagewesen, es gibt nichts Neues unter der Sonne. Aber das bekümmert ihn nicht, im Gegenteil, es entlastet vom Zwang zur Originalität.
Bei allen Verneinungen, zwei Gewissheiten bleiben ihm am Ende: Es gibt einen Gott und das Leben ist ein universelles Geheimnis : „…sólo sé que Dios existe y que la vida es un misterio universal“.
Kann man so leben?
Diese zwei Gewissheiten reichen ihm anscheinend, um zu leben und er selbst zu bleiben. Diese Gelassenheit und das Vertrauen, das sich darin zeigt, spiegelt sich in seinem Gesicht, in seinem Singen wieder – das gefällt mir sehr gut. Viva la vida! 🙂
P.S. Hier ein Versuch einer Übersetzung des Liedtextes:
Ich gehe durchs Leben
Weder verrückt noch erschrocken
nicht am Rand der Reihe
nicht hässlich nicht attraktiv
weder gut- noch schlechtgelaunt
Ich habe keine Lust mehr
die Richtung zu wechseln
Ich bin außerhalb des Durchschnitts
derer die eine Religion erfinden.
Kein Gefangener kein Bandit
Nicht Richter nicht Zuschauer
Ich bin kein schlechter Freund
Und auch kein Verführer
Ich habe keine Lust
die Rechnung zu bezahlen
Bin weder betrunken noch verloren
Mit den Jahren hat die Ungeduld aufgehört.
Refrain:
Ich gehe durchs Leben
Erzähle Geschichten neu
Weine mich heimlich aus (?)
Handele mit Versen und mörderischen Worten
um meinen Schmerz aufzulösen – ich bin ein Krimineller.
Ich gehe durchs Leben
und verfolge meine Träume
und lecke meine Wunden.
Ich übe die Kunst des Dich-Verlassens aus wenn du mich vergisst
Was für dich seltsam ist – für mich ist es normal.
Weder weise noch anspruchsvoll
Kein Dummer und kein Schauspieler
Weder unanständig noch besonders fromm
Ich habe keine Lust mehr aufzufallen
Ich bin zerstreut und verträumt
Und lebe wie in einem Flugzeug aus dem Koffer.
Refrain…..
Weder fröhlich noch böse
Kein Held und kein Unsterblicher
Nicht besonders zivilisiert aber auch kein Tier
Ich habe keine Lust mehr mich in Frage stellen zu lassen
Ich weiß nur, dass es Gott gibt
und dass das Leben ein universelles Geheimnis ist.